Samstag, 31. März 2012

Spielzeugnorm EN 71

Letztens stolperte ich über diese Norm für Spielzeuge und die damit verbundenen Kennzeichnungspflichten für Hersteller. Da ich selbst das eine oder andere Mini-Spielzeug für mein Kind genäht und jeweils ein Duplikat in meinem Online-Shop angeboten habe, mußte ich mich etwas genauer damit auseinandersetzen.
Für Interessierte hier der Link zu einem Verein (http://wir-machen-spielzeug.blogspot.de) (ganz frisch neugegründet), der sich für die Interessen der Kleinhersteller stark machen will.

Ich habe zum Thema einige Überlegungen angestellt.
Ich kann akzeptieren, daß große Hersteller, die Massenprodukte anbieten, eine CE-Kennzeichnung samt der dazugehörigen Prüfung und technischen Dokumentation vornehmen müssen. Da ich prinzipiell der Massenproduktion kritisch gegenüberstehe und einfach annehme, daß man um der Gewinnmaximierung willen schon den einen oder anderen Abstrich bei der Qualität der Rohwaren bzw. dem Herstellungsprozeß an sich macht und hier und da und dort auch mal ein Äuglein zudrückt. Man hat ja schließlich hochbezahlte Firmenanwälte und die Sicherheit und Gesundheit einiger Kinder ist ja nicht ganz so hoch anzusetzen wie der eigene Kontostand. Okay, das war jetzt Zynismus pur - aber trotzdem!!!
Nun gibt es seit Mitte letzten Jahres eine neue Spielzeugnorm.
Die es kleinen Herstellern, Gelegenheitskuscheltiernähern und Puppenmüttern beinahe unmöglich macht, ihre Produkte legal und in Übereinstimmung mit dieser Norm herzustellen und anzubieten.
Prinzipiell verstehe ich die Pflicht, gewisse Standards einzuhalten und entsprechend zu dokumentieren, ja auch für Kleinhersteller. Aber die Durchführung finde ich problematisch, zu kompliziert und vor allem VIEL zu teuer.

Als erstes: die CE-Kennzeichnung und technische Prüfung. Laut Norm muß dies für jedes hergestellte Produkt durchgeführt werden - stellt man aber ausschließlich Unikate her, dann auch für jedes einzelne. Kosten: ab 200 € aufwärts. PRO PRODUKT. Das ist doch kompletter Unsinn!
Welche Mutter kauft denn beispielsweise einen solchen selbstgenähten Kuscheldelfin, dessen Preis aufgrund dieser Prüfung über 200 € betragen müßte?
Zweitens: die Materialien, aus denen Kuscheldinge und Spielsachen genäht werden - diese fallen komischerweise NICHT unter diese Norm. Erstaunlicherweise gibt es überhaupt keine (verbindlichen) Normen im Textilsektor - das heißt, die Textilhersteller können im Prinzip machen, was sie wollen.
Ich war selbst sehr überrascht - dachte ich doch bisher (ja, ganz schön blauäugig), daß es auch da gewisse Normen und Richtlinien gäbe, die per Gesetz einzuhalten wären. NEIN! Allerhöchstens freiwillige Beschränkung auf Verwendung nicht ganz so schädlicher Farben.
Ich war entsetzt, was alles in unserer Kleidung drin sein darf (frei nach dem Motto: was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt), das nimmt einem wirklich ALLE Illusionen.
Beispiel Kinderstoffe: allein schon der Begriff suggeriert doch einer Frau und Mutter, daß der Stoff nicht nur kindliche Muster und Farben aufweist, sondern auch gesundheitlich für Kinder unbedenklich ist. Pah, FALSCH. Kinderstoff heißt nur: Design für Kinder gedacht. Und mit meist noch schädlicheren Färbemitteln (man denke nur an Neon-Pink) bunt gemacht.
Einige wenige Hersteller haben dies ja dankenswerterweise schon bedacht und werben damit, daß ihre Textilien tatsächlich für Kinder, speziell Säuglinge und Kleinkinder geeignet seien. Mit einem satten Preisplus von einigen Dutzend Prozent im Vergleich zu konventionellen Textilien.

Aber was ist mit gewöhnlichen Textilien, für Oberbekleidung beispielsweise?
Ich kaufe einen Stoff, wasche ihn und schneide dann ein Kleidungsstück zu. Für den Privatgebrauch nähe ich aus den Stoffresten ein Kuscheltier, einen Stern vielleicht, fülle ihn mit Watte und gebe ihn meinem Kind zum Spielen.
Das ist völlig in Ordnung, kein Hahn kräht danach, ob da irgendwelche Rückstände oder schädliche Substanzen drin sind. Und ich gehe davon aus, daß meinem Kind nichts schlimmes widerfährt, wenn es den Sternchenzipfel in den Mund nimmt und drauf  herumkaut und -nuckelt.
Aber wenn ich dasselbe Sternchen zum Kauf anbiete, sieht es gleich ganz anders aus.
Ist es entflammbar und wenn ja wie leicht?
Sind Stoff und Füllmaterial gesundheitlich unbedenklich oder gehen davon irgendwelche schädlichen Ausdünstungen aus?
Ist der Gegenstand auch stabil genug verarbeitet (dreifache Naht) und wie sieht es mit der Reißfestigkeit aus?
Ist es auch für Kinder unter 36 Monaten geeignet?
Im Privatbereich ist all das völlig unerheblich - aber im Geschäftsbereich sehr wichtig.
Wie sieht es aus - darf ich besagtes Sternchen denn wenigstens noch verschenken? Oder nicht?

Das kann einen zur Verzweiflung bringen.
Vor allem kommt es mir so vor, als ob diese Norm dazu erfunden wurde, um nicht in erster Linie die Kinder vor gefährlichem Spielzeug zu bewahren, sondern um die großen Hersteller vor der kleinen Heimindustrie zu schützen und mithilfe dieser Norm ganz klar ihr Revier abzustecken. Da die Prüfkosten für die einzelnen Produkte und eventuelle Abmahnungen wegen Formfehlern einen Kleinhersteller schnell in den Ruin treiben können.

Ich habe deswegen meinen genähten Kuscheldelfin wieder aus dem Shop genommen - was schade ist.
Das Kuschelsternchen ist noch online - aber wahrscheinlich nicht mehr lange. Zu unsicher...!

Ergänzung:
eine (halb scherzhaft, halb ernst gemeinte) Konformitätserklärung
Die Spielzeugrichtlinie verpflichtet mich zur Abgabe einer Konformitätserklärung.
Ich erkläre hiermit, daß das Produkt Kuschelsternchen den höchsten Anforderungen genügt - nämlich meinen. Ich versichere Dir als Interessentin und potentieller Kundin, daß an und in dem Sternchen nichts ist, was ich nicht jederzeit bedenkenlos meinem eigenen Kind zum Spielen geben würde.
♥Das Sternchen ist nicht für Kinder unter 3 Jahren geeignet und auch nicht als Kopfkissen gedacht. Eltern achten bitte selbst darauf, ihren Kindern geeignetes und altersgerechtes Spielzeug zu überlassen und sie entsprechend zu beaufsichtigen.♥
Keine Norm der Welt, keine Konformitätserklärungen, keine aufwendigen Labortests und keine Sicherheitshinweise können dies ersetzen.
Mit herzlichen Grüßen - Sathiya

2 Kommentare:

  1. Liebe Sathiya,

    lieben Dank für die Verlinkung, wir können Unterstützung gut gebrauchen :-). Leider ist es tatsächlich so, wie Du es beschreibst, in der Textilindustrie gibt es nur allgemeine Standarts, was die Schadstoffe angeht, daher nehmen unsere Kinder und wir selbst über unsere Kleidung Schadstoffe auf, die für Kinderspielzeug stark reglementiert sind. Und selbst bei diesen reglementierten Schadstoffen wird vom Bundesamt für Risikobewertung muniert, dass die Grenzwerte teilweise viel zu lasch wären. Das dramatische ist ja, dass wir als Verbraucher die Auswirkungen gar nicht abschätzen können, da hormonstörende, allergie- und krebsauslösende Stoffe ein schleichendes "Gift" sind. Es gilt das "Vorsorge-Prinzip".

    Wir brauchen unbedingt eine gesetzliche Lösung, die die Textilhersteller viel stärker in die Pflicht nimmt, zumindest für Textilien, die direkt für den Spielzeug- und Kinderbereich hergestellt werden.

    Zudem erwarte ich von Kinderstoffen, die das Öko-Tex-Zertifikat für Babyartikel und Spielzeug tragen, dass sie auch komplett die Schadstoffgrenzwerte der Spielzeugnorm berücksichtigen. Wazu gibt es sonst ein "Vertrauenssiegel", wenn noch nicht einmal die Minimalanforderungen überprüft werden?

    Es ist so viel faul, daher fragt fragt fragt, was in den Textilien, die ihr verarbeitet drin steckt. Nur so wird sich etwas ändern.

    Lieben Gruß
    Nadja (Wir machen Spielzeug e.V.)

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    1. Danke für Euren Kommentar zu meinem Text - ich war ganz überrascht und erfreut.
      Das Problem mit den Textilien brennt mir schon seit längerem auf der Seele - unabhängig von der Spielzeugnorm.
      Ich finde, es wird allerhöchste Zeit, Textilien gesetzgeberseitig genauso zu behandeln wie Lebensmittel, Kosmetik und Arzneien. Was in Kontakt mit Menschen kommt, gehört geprüft, und zwar BEVOR dieser Kontakt stattfindet.
      Der Gesetzgeber geht allerdings bisher davon aus, daß sich die Textilindustrie zu freiwilligen Standards bereiterklärt, und daß im Übrigen der Markt alles von allein regeln würde.
      Ich glaube, das ist ein Trugschluß. Der Markt, das ist so ein deeehnbarer Begriff, der im Prinzip alles und nichts aussagt. Viele meiner Freundinnen kaufen allein nach dem Preisprinzip ein - die Qualität ist ihnen überwiegend schnurz, Hauptsache billig. Und bunt. Und Tilda-Muster drauf. (Momentan gibt es ja Tilda-Nachahmerstoffe - made in Korea - mit überaus zweifelhaften Referenzen. Aber die Mädels kaufen das Zeug, koste es was es wolle...). Bestürzend.

      Ich bin entschieden dafür, verbindliche Standards einzuführen und deren Einhaltung zu überwachen, und zwar mit sofortiger Wirkung.
      Bye bye billige Kuscheltiere aus Fernost, bye Nici-Schlüsselanhänger made in VRC, bye Massenware aus nicht näher spezifiziertem "new material"... *lach*
      Man möchte lachen, wenn es nicht eigentlich eher zum Weinen wäre.

      Herzlichst, Sathiya

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